Statement zu den Aktionen gegen die IAA 2023

Statement von No Future for IAA zu den Aktionen gegen die IAA 2023

Im Herbst 2023 beteiligten sich mehrere tausend Menschen an Protesten gegen die IAA in München. Als No Future for IAA haben wir uns auf unterschiedliche Weisen beteiligt. Auf unsere Aktion am Samstag blicken wir mit gemischten Gefühlen zurück. Dazu möchten wir einige Dinge klarstellen.

Was ist passiert?

Vom 5.-10. September fand zum zweiten Mal die Internationale Automobilausstellung in München statt. Ein breites Spektrum an linksradikalen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, NGOs und weiteren Akteur:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung mobilisierte gegen das größte Marketingevent der deutschen Autoindustrie, um an die vielfältigen Proteste von 2021 anzuknüpfen. Im Luitpoldpark bot das Mobilitätswendecamp ab dem Beginn der IAA am Montag Schlafplätze, Versorgung und inhaltliche Veranstaltungen für eine vierstellige Zahl an Leuten. Am Freitag und Samstag gab es verschiedene größere und kleinere Aktionen gegen die bzw. im Kontext der IAA und am Sonntag beteiligten sich mehr als 3000 Personen an einer gemeinsamen Demo.

Als Bündnis No Future for IAA waren wir mit einem eigenen Zelt auf dem Camp vertreten, in dem über mehrere Tage hinweg zahlreiche gut besuchte Vorträge und Diskussionsveranstaltungen stattfanden. Gemeinsam mit dem Bündnis Sand im Getriebe organisierten wir einen antikapitalistischen Block auf der Großdemo mit weit über tausend Leuten. Am Samstag riefen wir zu einer Aktion des zivilen Ungehorsams auf. Diese richtete sich gegen den kapitalistischen Zugriff auf unsere Lebensräume und die Ausrichtung von Stadt und Mobilität an Profitinteressen, für welche die IAA steht. Wir entschieden uns bei der Planung bereits früh, die Frage nach städtischem Raum wieder in unserer Aktion aufzugreifen. Seit ihrem Umzug nach München beschränkt sich die IAA nicht auf Ausstellungen in Messehallen, sondern breitet sich mit ‚Open Spaces‘ genannten Werbeständen quasi über die komplette Innenstadt aus. Diese stoßen in München teilweise auf breit getragene Ablehnung, welche wir aufgreifen und zuspitzen wollten. Bereits 2021 thematisierten wir in unserer Mobilisierung die Frage nach städtischem Raum und eigneten uns diesen mit einer Hausbesetzung in unmittelbarer Nähe eines ‚Open Space‘ praktisch an.

Am Aktionstag am 9.9.2023 verkündeten wir, einen Gebäudekomplex in der Bavariastraße, welcher seit Jahren als Spekulationsobjekt leer steht, „symbolisch besetzt“ zu haben. In den Zufahrtsstraßen zum Gebäude gab es mehrere Menschen- und Materialblockaden. Vom Dach des betreffenden Gebäudes sowie von einem weiteren Dach in der Straße gab es Bannerdrops und Pyrotechnik. Das Gebäude wurde von der Polizei durchsucht und die Blockaden eingekesselt. Im Gebäude wurden von den Cops keine Menschen angetroffen. Während ein Teil der an den Blockaden beteiligten Personen nach einiger Zeit unbehelligt gehen konnte, wurde ein anderer Teil über Stunden bei praller Sonne und Hitze von der Polizei festgehalten. Wasser und Essen konnte nur nach Verhandlungen über Sanitäter*innen in den Kessel gebracht werden. Der Zugang zu Toiletten wurde den Betroffenen teilweise stundenlang verwehrt. Einige Personen wurden wegen vermeintlichen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten angezeigt. Glücklicherweise konnten viele Betroffene die Personalienfeststellung durch die Cops erfolgreich verweigern.

In dem Gebäudekomplex in der Bavariastr. 30-36 befanden sich während der Aktion nur für einen kurzen Moment Leute. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass Personen vor dem Gebäude teilweise davon ausgingen, durch die Blockaden eine tatsächliche Hausbesetzung vor einer Räumung zu schützen. Wir haben versucht möglichst frühzeitig zu kommunizieren, dass sich keine Personen mehr im Haus befinden. Diese Info hat Teile der Blockade jedoch nicht bzw. zu spät erreicht. Wir möchten mit diesem Statement klarstellen, dass die Aktion von uns deutlich anders geplant war als sie letztendlich ablief. Die Kommunikationsstruktur zwischen den Blockaden und anderen Teilen der Aktion hat nicht wie angedacht funktioniert. Dass auf dem leerstehenden Gebäude eine rein symbolische Aktion in Form von Bannerdrops stattfand, war ebenfalls nicht so von uns geplant. Mehrere unvorhergesehene Zwischenfälle haben einen anderen Plan für den Tag verunmöglicht. Die „symbolische Besetzung“ war ein kurzfristig aus der Not geborener Alternativplan, den wir im Nachhinein kritisch bewerten.

Ziviler Ungehorsam und Symbolismus

Sogenannter ziviler Ungehorsam und Militanz zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur der Bekundung einer politischen Meinung dienen, sondern einen Ansatzpunkt bieten, in gesellschaftliche Verhältnisse praktisch einzugreifen. Was das konkret bedeutet, dafür gibt es in der Geschichte linker Bewegungen in Deutschland unterschiedlichste Beispiele: von blockierten Naziaufmärschen über Streiks, temporären Blockaden von Kohlekraftwerken bis zu Sabotage und Besetzungen von Bauland, welche den Bau von Atomkraftwerken nachhaltig verhinderten. So unterschiedlich diese Aktionsformen seien mögen, sie alle stellen einen materiellen Eingriff dar, der über bloße Protestbekundungen hinausgeht. Das Mittel der Hausbesetzung, welches in den letzten Jahren ein erfreuliches Revival erlebt, greift die herrschenden Eigentumsverhältnisse durch die Aneignung von Räumen praktisch an. Dass Hausbesetzungen auch heutzutage erfolgreich sein können, zeigen beispielsweise die Gündi 5 und weitere Hausbesetzungen der letzten Zeit in Frankfurt. Wir denken dass eine solche Aktionsform grundsätzlich auch in München erfolgreich sein könnte, wenn sie in eine sinnvolle Strategie eingebettet ist, durch die es gelingt, genügend politischen Druck aufzubauen.

Unsere Aktion in der Bavariastraße war, in der Form, in der sie letztendlich ablief, allenfalls eine Simulation von Militanz. Nichts gegen einen kämpferischen Gestus, doch pseudomilitantes Gepose, das einen konkreten Eingriff in Eigentumsverhältnisse vorgaukelt, ohne diesen zu erfüllen, läuft nicht nur Gefahr, Zweifel an der Ernsthaftigkeit unseres Anliegens zu erwecken sondern ist auch unehrlich gegenüber allen, die sich einer Aktion anschließen und damit zum möglichen Ziel staatlicher Repression werden. Es ist uns wichtig, unsere Kritik an derartigem Symbolismus hier noch einmal klarzustellen.

Nichtsdestotrotz möchten wir auch einige positive Aspekte unserer Aktion hervorheben. Die Thematisierung von Leerstand und Spekulation mit städtischem Raum stieß bei zahlreichen Anwohner*innen der Bavariastraße auf großen Zuspruch. Außerdem war es möglich, dass bei einer offen mobilisierten Aktion eine dreistellige Anzahl an Leuten den Aktionsort erreichen und Blockaden errichten konnte, ohne die Aufmerksamkeit der Cops auf sich zu ziehen. Das zeigt, dass es mit guter Planung möglich ist, trotz eines polizeilichen Belagerungszustands und massiver Überwachung, kollektiv widerständig zu agieren.

Wir bedanken uns bei allen Beteiligten der Aktion für euer Vertrauen und eure Unterstützung. Wenn ihr unliebsame Post bekommt oder schon bekommen habt, meldet euch bei uns und bei der Roten Hilfe.

Wir sehen uns bald wieder! Auf der Straße, dem Acker oder im Wald!

No Future for IAA